Prosche, H. und Düring, A.: Nomina anatomica am Beispiel der Symphyse
Vorschlag für die klinische Nomenklatur

Klinikum Kulmbach/MVZ, A.-Schweitzer-Str. 10, 95326 Kulmbach

Einführung

Die modernen und sich rasch weiter entwickelnden bildgebenden Verfahren schaffen immer mehr und detailliertere Einblicke in die Anatomie des Patienten – auch z. T. mit Gewebedifferenzierung. So können heute, wenn es um Gelenke geht, neben den rein knöchernen Strukturen auch Knorpelflächen, Kapsel-Band-Apparat, die angrenzende Muskulatur, Gefäße, ... mitunter endrucksvoller als in manchem Anatomie-Lehrwerk dargestellt werden. Damit lassen sich nun auch Strukturen namentlich zuordnen und müssen hinsichtlich pathologischer Veränderungen einer Beurteilung unterzogen werden, die in der Vergangenheit technisch bedingt dem Auge des Klinikers verborgen blieben und daher mitunter auch relativ uninteressant waren. Um eine Diagnose stellen zu können, bedarf es des Vergleichs mit dem Gesunden oder vom Aufbau her ähnlicher Strukturen miteinander. Im Folgenden soll am Beispiel der Symphysis pubica eines Patienten unter Einbeziehung der Wirbelsäule ein Analogieschluss vollzogen werden.


Fallbeschreibung und Untersuchungstechnik

Ein ambulanter 55-jähriger Patient mit normalem Körperbau und Ernährungszustand sowie gutem Allgemeinzustand kam wegen seit Wochen hin und wieder auftretender ziehender „Schmerzen in der Schamgegend“ zur Untersuchung. Mit einem 1,0 Tesla MR-Tomographen wurden Nativaufnahmen des Beckens, unter besonderer Berücksichtigung der Symphysis pubica T1 SE- und T2 STIR-gewichtet in der transversalen und koronaren Ebene sowie T2 TSE-gewichtet in der transversalen Ebene angefertigt.


Ergebnisse

Die der Symphysis pubica zugewandten knöchernen Abschlussplatten der Schambeine fallen hier auf durch eine unregelmäßige Struktur, begleitet von osteophytären Ausziehungen (Abb. 1 und 2). Die knorpeligen Anteile sind deutlich, vor allem nach kranial, vorgewölbt (Abb. 1) und im T2- gewichteten Bild hypointens (Abb. 2). Im T2-gewichteten STIR-Bild finden sich schließlich Signalanhebungen in den symphysennahen Bereichen der Schambeine entsprechend einem leichten Bone bruise als Zeichen eines Reizzustandes mit Aktivierung und Flüssigkeitsvermehrung im Knochenmark (Abb. 3).



Koronares T1 Abb. 1 Koronares, T1-gewichtetes SE-Bild mit Abschlussplattendegenerationen und osteophytären Ausziehungen sowie deutlicher Vorwölbung des Discus interpubicus nach kranial.   Transversales T2
Abb. 2 Transversales, T2-gewichtetes SE-Bild der Symphysis pubica mit Abschlussplattendegenerationen und hypointensem Discus interpubicus.

Koronares T2
Abb. 3 Koronares, T2-gewichtetes STIR-Bild mit Signalanhebungen in den Schambeinen als Zeichen eines Bone bruise.


Diskussion

Die allgemeine Vorstellung von einem Gelenk entspricht in der Regel dem Aufbau einer Diarthrose, auch als echtes Gelenk bezeichnet. Meist zwei miteinander in Kontakt stehende Skelettelemente sind an den kraftübertragenden Berührungsflächen jeweils mit einer (meist hyalinen) Knorpelschicht überzogen. Dazwischen befindet sich ein mit synovialer Flüssigkeit gefüllter Gelenkspalt. Dieser ist Teil der Gelenkhöhle, welche von einer Gelenkkapsel umgeben wird.
Jedoch werden, wie z. B. im Benninghoff, einem Standardwerk der Anatomie, morphologisch noch einige weitere Knochenverbindungen als Gelenke unterschieden (Drenckhahn D (Hrsg.). Benninghoff/Drenckhahn: Anatomie, 16. Auflage (Bd. 1). München, Jena: Urban & Fischer, 2003: 254-260): So gibt es die Synarthrosen, bei denen kein trennender Gelenkspalt besteht. Zwei benachbarte Knochen werden durch ein stärker verformbares Gewebe zusammengehalten, entweder durch Bindegewebe bei den Bandhaften (Articulationes fibrosae) oder durch Knorpel bei den Knorpelhaften (Articulationes cartilagineae). Handelt es sich dabei um hyalinen Knorpel, spricht man von Synchondrosen. Ist es hauptsächlich Faserknorpel (Discus interpubicus), dann werden diese Knochenverbindungen als Symphysen bezeichnet. Gesichert wird das Ganze durch umgebendes straffes Bindegewebe.
Insgesamt werden somit sowohl Druck- als auch Zugkräfte kompensiert, die von außen einwirken. Die Kollagenfasern des Discus interpubicus wiederum fangen Zugkräfte ab, die sekundär, durch Umwandlung von Druckkräften innerhalb des Diskus entstehen, wenn es zu einer Kompression der Symphyse kommt.
Häufig entstehen mit zunehmendem Alter, zum Teil durch Schubspannungen verursacht, innerhalb des Diskus Spaltbildungen. Gängiges Beispiel einer Symphyse ist die Symphysis pubica, welche das linke mit dem rechten Schambein verbindet. Analog dazu wird aber auch die knorpelige Verbindung zwischen zwei Wirbelkörpern eines Bewegungssegmentes als Symphysis intervertebralis bezeichnet, entsprechend der faserknorpelige Diskus als Discus intervertebralis. Dünne Schichten aus hyalinem Knorpel finden sich bei beiden Symphysenarten in den Übergangsbereichen zu den knöchernen Abschlussplatten (Drenckhahn D (Hrsg.). Benninghoff/Drenckhahn: Anatomie, 16. Auflage (Bd. 1). München, Jena: Urban & Fischer, 2003: 347-348 und 427-430). Aus morphologischer und funktioneller Sicht sind diese beiden Knochenverbindungen also grundsätzlich miteinander vergleichbar.
Eine typische degenerative Veränderung der Bandscheibe an der Wirbelsäule zusammen mit den knöchernen Wirbelkörperabschlussplatten des jeweiligen Bewegungssegmentes ist die Osteochondrosis intervertebralis. Diese entsteht durch Abnahme der Bandscheibenhöhe und Verlust der druck- und stoßausgleichenden Diskusfunktion, einhergehend mit chondralen Veränderungen der Wirbelkörperabschlussplatten bis hin zu einer Sklerosierung der Wirbelkörperdeckplatten und Bildung von marginalen Spondylophyten (Brossmann J (Hrsg.). Grenzen des Normalen und Anfänge des Pathologischen in der Radiologie des kindlichen und erwachsenen Skeletts: Freyschmidt´s „Köhler/Zimmer“. 14. Auflage. Stuttgart: Thieme, 2001: 600). Im T2-gewichteten MRT-Bild findet sich eine Signalminderung der Bandscheibe, was durch deren Dehydrierung zustande kommt. Oft ist diese Bandscheibe in Richtung Spinalkanal oder Foramina intervertebralia vorgewölbt entsprechend einer Diskusprotrusion. An den Abschlussplatten finden sich je nach Grad der Degeneration osteophytäre Anbauten (Spondylophyten bzw. Retrospondylophyten). Derartige knöcherne und knorpelige Veränderungen lassen sich bei dem in unserer Klinik untersuchten Patienten an der Symphysis pubica ebenfalls nachweisen. Der Symphysenknorpel ist hypointens im T2-Bild (Abb. 2), analog zum (osteo)chondrotisch veränderten Discus intervertebralis der Wirbelsäule (Abb. 4). Es finden sich Unregelmäßigkeiten und Osteophyten an den knöchernen Abschlussplatten der Schambeine (Abb. 1), ebenfalls analog zu den typisch osteochondrotischen Veränderungen der Wirbelkörperabschlussplatten (Abb. 4).



Osteochondrose T2

Abb.4 Im Vergleich zu den beiden kranialen Segmenten findet sich bei der Osteochondrose im T2-Bild jeweils ein hypointenser, dehydrierter Discus intervertebralis. Die Wirbelkörperabschlussplatten sind deformiert und weisen Spondylophyten auf.



Entsprechend dieser pathologisch-anatomischen bzw. radiologischen und der oben beschriebenen rein anatomischen Analogie schlagen wir vor, bei den gezeigten Schambeinfugenveränderungen von einer Osteochondrosis pubica zu sprechen. Da bei unserem Patienten außerdem ein Bone bruise, Knochenmarködem besteht, ist hier von einer aktivierten Osteochondrosis pubica auszugehen.


Pro 03/2007